Parodieren? – Aber richtig! und Zwischen Austausch und Aneignung: Vom Umgang mit kulturellem Erbe heute
Dass Bach zahlreiche seiner Werke umarbeitete und im Zusammenwirken mit geschickten Textdichtern für veränderte Anlässe einrichtete, ist bekannt. Aber wie funktioniert eigentlich dieses vieldiskutierte «Parodieverfahren», worauf müssen Texter und Tonsetzer beim «Umschmieden» von Chorsätzen, Arien und Rezitativen achten und wie weitgehend darf man sich Bachs deutendes Lesen und phantasievolles Aufgreifen von Textentwürfen und musikalischen Vorlagen vorstellen?
Rudolf Lutz und Anselm Hartinger demonstrierten an praktischen Beispielen die Potenziale und Probleme des barocken Komponierens und Bearbeitens und erkundeten dabei experimentell die Grundzüge der musikalischen Grammatik jener Zeit. Im Mittelpunkt stand dabei die exklusiv für den Festgottesdienst der Appenzeller Bachtage 2024 gemeinsam erarbeitete geistliche Parodiefassung der weltlichen Kantate BWV 207.
In Bachs Zeit war es völlig legitim, sich bei Vorbildern zu bedienen; die Weiterentwicklung italienischer, französischer und weiterer Stilidiome war geradezu das Qualitätsmerkmal des «vermischten deutschen Geschmacks». Drei Jahrhunderte später hat sich nicht nur das künstlerische Urheberrecht verändert – auch unser Verständnis von kulturellem Austausch sieht sich im Zeichen post-kolonialer und rassismuskritischer Diskurse sowie angesichts um sich greifender identitätspolitischer Auseinandersetzungen tiefgreifenden Fragen ausgesetzt: Wem, wenn überhaupt, gehören kulturelle Besonderheiten? Und wer darf sie sich aus welchen Gründen aneignen? Sollten Traditionen wie Marken vor dem Zugriff Fremder geschützt werden? Und wer kann mit welcher Legitimation und für wen in diesen Debatten überhaupt Stellung beziehen?
Mithu Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Autorin vieler Sachbücher und des Romans «Identitti», und Markus Somm, Journalist und Verleger, diskutierten dazu gemeinsam mit Barbara Bleisch.