Höhepunkt an Höhepunkt: Der Bachtage-Freitag trotzt dem trüben Wetter

Angesichts des heftigen Dauerregens am Freitag war schnell klar, dass die Konzertwanderung nicht stattfinden kann. Also präsentierte Konrad Hummler einen Plan B: Fahren statt wandern. Zwei Extrabusse machten Halt an den für die Wanderung geplanten Stationen, zuerst beim Kommandobunker der Grenzbrigade 8 bei Haslen im Kanton Appenzell Innerrhoden. Die Anlage befindet sich 120 Meter unter der Erde, stammt aus dem Kalten Krieg und wurde 2019 als Museum eröffnet. Beklemmender Augenblick, als sich die Besucherinnen und Besucher gerade in einem Schlafraum aufhielten: Das Licht ging aus. Zunächst wusste niemand, ob es sich um einen Stromausfall handelte. Dann jedoch ertönte Musik und jeder wusste: Die totale Finsternis ist Teil der Inszenierung. Das mitgereiste, vierköpfige Bläser-Ensemble spielte einen Satz aus der Suite «hell\dunkel» von Rudolf Lutz, mit dem eingewobenen Choral «Nun komm, der Heiden Heiland». Kontrastprogramm dazu an der nächsten Station: Das von Tobias Willi dargebotene Orgelintermezzo in der Barockkirche Schlatt – auch bei trüber Witterung eine lichte und freundliche Oase. Nach dem Intermezzo überraschte der Wanderleiter die Gäste mit einem Kurzausflug an die tobende Sitter. Auch Bach - und was für einer, wenn er Hochwasser führt. Zum Schluss fanden sich die fahrenden Wanderer im Zeughaus Teufen ein, wo Konrad Hummler einlud zu einer Reise im Kopf. Er führte gedanklich über die Hügel des Appenzellerlandes, vorbei an grasenden Schafherden und durch Täler. Das Bläserquartett untermalte die Beschreibungen mit den passenden Kompositionen von Rudolf Lutz. Bei Bier, Bretzeln und Weisswürsten liess man die - etwas anders als geplant, aber nicht minder schöne - Wanderung Revue passieren.

Freitagsakademien mit klugen Köpfen

Die deutsche Philosophin und Autorin Svenja Flaßpöhler und der Schweizer Strafverteidiger Valentin Landmann schauen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven auf die Abgründe im menschlichen Verhalten. Und doch trafen sie sich bei den von Arthur Godel moderierten Freitagsakademien auf einem gemeinsamen Nenner: Es ist wichtig, sich die Frage zu stellen, was zum Bösen, zu kriminellen Handlungen geführt hat. Verstehen und nachvollziehen können, heisst aber nicht, verwerfliche Taten zu entschuldigen, zu rechtfertigen oder zu legitimieren. Verständnis müsse dort enden, wo Schuld anfange.

Fulminante Kantatenaufführung in der vollbesetzten Kirche Teufen

Im Zentrum der Appenzeller Bachtage steht die Kantate «Es erhub sich ein Streit» BWV 19. Dass der darin beschriebene Kampf zwischen Himmel und Hölle, zwischen dem Guten und dem Bösen auch andere Komponisten inspirierte, davon konnten sich die Besucherinnen und Besucher in der Werkeinführung einen Eindruck verschaffen: Johann Christoph Bach, ein Onkel Johann Sebastian Bachs, nahm sich des Stoffs ebenfalls an und komponierte dazu eine Kantate. Chor und Orchester der J. S. Bach-Stiftung trugen sie eindrücklich vor unter der Leitung von Clemens Flämig, der im Ensemble regelmässig die Chorleitungsassistenz übernimmt. Die Aufführung von BWV 19 unter der Leitung von Rudolf Lutz war dann ein weiterer musikalischer Höhepunkt des fünftägigen Festivals, eine kraftstrotzende und strahlende Darbietung. Allein der Eingangschor war mit seiner dreiteiligen Fuge im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Langanhaltender Applaus, auch von Masaaki und Masato Suzuki, die zu den Konzertbesuchern gehörten und heute Abend beim Cembalorezital zu erleben sind.

Kurzweil und grosses Können beim Jugendprojekt «Nocturne»

«Durch die Nacht mit Musik» war das Motto des von Annina Stahlberger konzipierten Jugendprojekts «Nocturne», bei dem die Fahrt im Extrazug von St. Gallen nach Gais bereits zum Event gehörte. Wer in Teufen zustieg, traf auf heitere und singende Passagiere, mitmachen ausdrücklich erwünscht. Dazwischen vorgelesene Texte und vorgetragene Abendlieder. Ziel der Fahrt und Konzertort war die evangelische Kirche Gais, und was Chor und Projektorchester mit Jugendlichen aus den Kantonen Appenzell Ausserrhoden und St. Gallen (Leitung Bernhard Bichler) boten, begeisterte das Publikum mit grossem Können und frischer Spielfreude. Souverän interpretiert: Paul Gigers Uraufführung von «The unquestioned answer – Bach», ein komplexes Werk, bei dem immer wieder das 6. Brandenburgische Konzert aufscheint und das rockig endet. Daneben Kompositionen aus verschiedenen Epochen – von Vivaldi über Rheinberger bis Kodály und eingestreute, mit schauspielerischer Qualität vorgetragene Nachttexte. Ein tolles Konzertformat, das so schnell verging, als würde man im Expresszug sitzen.